Auch wenn man schon vor anderen Menschen viele Vorträge gehalten hat, ist es etwas komplett anderes, als Botschafterin vor einer Klasse zu stehen. Diesmal ging es eben nicht um meine Arbeit…

Viele Fragen schwirrten mir in dem Kopf: Was wird die SchülerInnen interessieren? Wird es eher das Interview mit Oma sein, welches ich komplett für die Stunde übersetzt habe? Wird es eher meine eigene Erfahrung als jüdischstämmige sein? Oder doch die ihnen unbekannte Geschichte und Kultur Bulgariens, die zur Rettung der bulgarischen Juden geführt haben? Kann man sich darauf überhaupt vorbereiten? Die Fakten sind mir entweder bekannt oder ich habe sie recherchiert, aber was ist mit deren Interpretation oder die eigene emotionale „Ladung“?

Ich war sehr, sehr aufgeregt, denn ich wollte möglichst viel als Basis für Nachdenken und Diskussion liefern.

Angefangen haben wir mit meiner Vorstellung sowie meine Motivation, am Projekt als Botschafterin teilzunehmen: Wir sind alle Zeitzeugen!

Daraufhin hat Philipp das Interview mit Oma vorgelesen, dafür bin ich ihm sehr dankbar! Für mich persönlich wäre es ansonsten zu schwer (rein emotional) geworden, zum Hauptthema zu kommen – die Erfahrung von Oma ist eine gute Einführung darin. Das „Etikett“ kann man beliebig austauschen: statt „Judentum“ könnte „Migrationshintergrund“, „Behinderung“, „Homosexualität“ oder was auch immer stehen. Die Frage ist, wie man mit den Menschen – trotz „Etikett“ – umgeht.

Genau das zeigt die Erfahrung meiner Oma: Auch wenn sie sehr schwere Zeiten erlebte, sie erinnert sich sehr gut daran, wie sie die Menschen behandelten, die sie während ihrer Deportation in Razgrad kennenlernte: die Lehrerin, die Kinder in ihrer Klasse, die bulgarische und die türkische Familie, bei denen sie gelebt haben, die gute Nachbarin, die sich selbst in Gefahr brachte, um mit ihnen, den Kindern, trotz Ausganssperre zu spazieren. Wie sie selbst sagt: „Wir gerieten an gute Menschen mit guten Herzen.“ Darum geht es mir.

Als Überleitung erinnerte Philipp kurz an das Milgram-Experiment, welches zuvor ein Thema im Unterricht gewesen sei. Daraufhin widmeten wir uns der Kultur und der Geschichte Bulgariens, die uns, BulgarInnen, zu „Dickschädel“ machen, die die eigene Meinung immer stark vertreten und Autoritäten selten ernst nehmen. Die SchülerInnen waren sehr interessiert, sie überlegten aktiv mit, was die von mir und Anni (als Bulgarin natürlich unterstützend) erzählten Geschichten ihnen sagen wollen.

Besonderen Eindruck schien eine Episode der bulgarischen Geschichte zu hinterlassen: Im März 1943 war ein Zug mit versiegelten Waggons aus Thessaloniki in Kjustendil eingetroffen, der von deutschen Soldaten schwer bewacht wurde. Man konnte wohl nichts von dem Inneren sehen, die verzweifelten Schreie der darin Eingesperrten ließen wohl aber keine Zweifel darüber. Daraufhin sammelten sich die Bauer, die in der Nähe der Gleise wohnten, jeder bewaffnet mit dem, was er finden konnte. Sie wollten die Waggons zerschlagen und die Unglücklichen befreien.

Ein Schüler überlegte, wie viele sich trauen würden, selbst in Gefahr zu geraten, wenn es um Bekannte (wie beispielsweise Nachbarn) gehen würde. Anni wies darauf hin, dass es eine noch offenere Frage ist, wie viele sich trauen würden, die Regeln zu brechen, wenn es sich, wie in diesem Fall war, um komplett Unbekannte handeln würde.

Weiterhin erzählte ich die geschichtlichen Fakten, die zur gesamtgesellschaftlichen Bewegung zur Rettung der bulgarischen Juden führten.

Da ich glaube, dass dies keine spezifische Eigenschaft von BulgarInnen ist und dass alle Menschen so mutig handeln können, wählte ich bulgarische Sprichwörter, die die für mich drei wichtigsten Gründen hervorheben. Die SchülerInnen überlegten, die von mir nicht im Voraus erwähnten Gründe richtig zu benennen.

  • Wer ein Messer rauszieht, stirbt an einem Messer.
  • Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.
  • Was du nicht willst, dass man dir tu‘, das füg auch keinem anderen zu.
  • Wie man in dem Wald ruft, so schallt es heraus.
  • Ein sanftes Wort öffnet eiserne Tore.

(Umgang mit Anderen)

  • Wie du dir das Bett machst, so wirst du darin ruhen.
  • Die Reben brauchen eine Hacke, keine Gebete.
  • Dem Wolfe ist der Nacken dick, weil er seine Arbeit alleine erledigt.
  • Was du säst, das wirst du ernten.
  • Nichts fällt vom Himmel.

(Eigenverantwortung)

  • Wenn du was bekommen willst, lerne zu geben.
  • Willst du lange leben, so öffne dein Herz.
  • Eine Schwalbe macht keinen Frühling.
  • Vereinte Kraft versetzt Berge.

(Bedeutung der Gesellschaft)

Ich bedanke mich herzlich bei allen, die an der Stunde teilgenommen haben – an Anni und Philipp für die tolle Unterstützung und and alle SchülerInnen: Ihr habt mich zu noch mehr Nachdenken gebracht, hoffentlich ich Euch auch!

Mir war klar, dass die Zeit ggf. nicht für alles ausreichen würde, aber es ging und geht mir darum, den Anfang zu machen. Diejenigen, die interessiert sind, können sich danach selbstständig vertiefen – besonders, wenn sie sich meine Botschaft zu Herzen genommen haben:

Wir sind alle Zeitzeugen! Jeder kann einen wertvollen Beitrag leisten!


Text: Elisara


Vereinte Kraft versetzt Berge

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